Martha-Lesse-Straße im Neubaugebiet „Auf dem Holzberg“ eingeweiht

Bad Nauheim
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In seiner Begrüßungsrede anlässlich der Straßenwidmung für Martha Lesse, einer jüdischen Vertriebenen, am vergangenen Donnerstag im Rödgener Neubaugebiet „Auf dem Holzberg“ formulierte Bürgermeister Klaus Kreß folgenden Wunsch: „Ich hoffe sehr, dass Martha Lesse ein Beispiel starker Frauen für künftige Generationen sein wird.“ Sie und ihre Geschichte solle in unserem Gedächtnis präsent bleiben.

Zu der Straßenwidmung waren ungefähr 150 Menschen aus Politik und Gesellschaft gekommen. Ehrengäste waren die Nachfahren von Martha Lesse, die aus den USA angereist waren: Louise Hale, Barbara Linn und Peggy Roden sind die Töchter von George Lesse, dem Sohn von Martha und Alfred Lesse. Sie sind zusammen mit ihren Töchtern Sydney, Allison und Sarah angereist. Sichtlich bewegt von der Zeremonie, hielt auch Sarah Roden, die Ururenkelin von Martha und Alfred Lesse, eine Rede und dankte allen Beteiligten für diesen würdigenden Akt. Sie mahnte allerdings zu Umsichtigkeit und erinnerte, dass diese Geste kein glückliches Ende für die Vergangenheit darstelle.

Denkmal für Erinnerungskultur - „Die Martha-Lesse-Straße wird damit praktisch zum Denkmal für die Erinnerungskultur und gegen das Vergessen von Folter, Mord, Vertreibung und Gewaltherrschaft in unserer Stadt und darüber hinaus“, sagte stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher Markus Philippi in seiner Rede. Manfred de Vries, Vorstandsvorsteher der jüdischen Gemeinde Bad Nauheim, Ortsvorsteherin Gisela Babitz-Koch und Lokalhistoriker Herbert Pauschardt richteten ebenfalls das Wort an die Nachfahren von Martha und Alfred Lesse. Begleitet wurde der Festakt von dem Gesangsverein Eintracht 1861 Rödgen. Höhepunkt der Veranstaltung war die Enthüllung des Straßenschildes, die gemeinsam von den Nachfahren Lesses, Bürgermeister Kreß und Markus Philippi vorgenommen wurde.

Historie der Martha Lesse - In der Festschrift zur 750-Jahrfeier von Rödgen von Herbert Pauchardt ist das Leben Lesses teilweise festgehalten: Die jüdische Familie um Martha und Alfred Lesse lebte bis 1939 in Bad Nauheim, bis sie in die USA emigrieren mussten und zuvor ihr Grundstück unter Zwang und weit unter Wert verkaufen musste. Um Ostern 1932 zog Martha Lesse (1896-1994) mit ihrem Ehemann Alfred, den beiden Söhnen Walter und Hans sowie ihrer Mutter, Lucie Coppel, von Frankfurt am Main nach Rödgen. Dort hatte Familie Lesse den sogenannten „Rosenhof“, ein stattliches Gebäude am nordwestlichen Teil des Holzbergs, erworben. Recherchen aus dem Bad Nauheimer Stadtarchiv lassen einen Zusammenhang zwischen dem Umzug aufs Land und dem, besonders in Städten, immer stärker aufkommenden Antisemitismus vermuten, wofür auch die frühe Namensänderung im Jahr 1931 von Levy zu Lesse spräche. Während ihr Mann sich nach dem Umzug weiterhin seinem Textilgeschäft in Frankfurt widmete, kümmerte sich Martha in Rödgen um die Familie und das Anwesen und war fachlich für die Hühnerfarm „Rosenhof“ zuständig. Sie wies die zahlreichen Hilfskräfte an und beschäftigte eine Köchin, einen Gärtner, einen Hausmeister und zeitweise auch Kindermädchen. Offenbar führten die Lesses das Leben der „besseren Gesellschaft“ in dem beschaulichen Ort. Wie Lokalhistoriker Herbert Pauschardt in seiner Geschichte Rödgens schreibt, beeindruckte nicht nur das Automobil der Familie, die auf dem Anwesen gegebenen Gesellschaften, sondern auch das Personal, zu dem neben den Geflügelwärtern auch „Köchin, Hausmeister bzw. Gärtner und zeitweise Kindermädchen gehörten“.

In der der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 kam es laut Zeitzeugen zu einem Pogrom auf dem Rosenhof, bei dem niemand verletzt oder getötet wurde und nur Sachschäden zu verzeichnen waren. Die näheren Umstände sind nicht bekannt, aber wie Zeitzeugen berichten, scheint es nicht zu Personenschäden gekommen zu sein, da die Familie Lesse im Vorfeld eine Warnung erhielt und die Nacht, mit dem Auto durch den Vogelsberg, fahrend verbrachte. Unmittelbar nach der Prgromnacht flohen Vater Alfred und Sohn Walter Lesse aus Deutschland. Sohn Hans Lesse war bereits im Alter von 16 Jahren, im Frühjahr 1937 in die USA ausgewandert. Martha Lesse blieb mit ihrer Mutter Lucie Coppel auf dem Rosenhof zurück, um die neuen Eigentümer in Empfang nehmen zu können. Sie und ihre Mutter wurden erst am 23. Juni 1939 im bürgermeisterlichen Abmelderegister vermerkt. Eine Passagierliste belegt die Schiffsreise von Alfred und Martha Lesse im August 1940 von Großbritannien in die USA.

BU (1): Markus Philippi (stellvertretender Stadtverordnetenvorsteher), Bürgermeister Klaus Kreß, Manfred de Vries (Vorsteher jüdische Gemeinde Bad Nauheim) und Ortsvorsteherin Gisela Babitz-Koch (rechts außen) enthüllten gemeinsam mit den Nachfahren der Familie Lesse das Straßenschild im Rödgener Neubaugebiet.



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