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Auch wenn der Negativtrend einen Umkehrschub erhalten hat, stehen noch viele Betriebe vor sehr schwierigen Rahmenbedingungen. Fachkräftemangel, Energiekrise und eine schwache Inlandsnachfrage belasten die Wirtschaft erheblich. Eine Folge davon ist die geringe Investitionsneigung.

Die Stimmung in der regionalen Wirtschaft ist besser als im Herbst vergangenen Jahres, aber sie ist nicht gut. Mit einem Sprung von 74,4 auf 94,7 Punkte signalisiert der Konjunkturklimaindex, dass sich die Geschäftserwartungen und die Einschätzung der gegenwärtigen Lage in den Betrieben im IHK-Bezirk zwar deutlich gegenüber dem Herbst verbessert haben. Trotzdem wird die Zufriedenheitsschwelle, die bei 100 Punkten liegt, noch immer unterschritten. „Auffallend ist, dass es einigen Branchen durchaus gelungen ist, wieder Fahrt aufzunehmen. Andere Wirtschaftszweige sind allerdings nachhaltig geschwächt und straucheln“, bewertet IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder die aktuelle Lage. Insbesondere Finanzdienstleister oder Reisebüros sind im Aufwind, schwierig ist die Lage für das Gastgewerbe. Befragt wurden in der Umfrage zum Jahreswechsel 2022/2023 der IHK Gießen-Friedberg zwischen Dezember 2022 und Januar 2023 knapp 900 Betriebe aus den Landkreisen Gießen, Vogelsberg und Wetterau, 343 Unternehmen nahmen an der Befragung teil. Mit einer besseren Geschäftslage rechnen zukünftig rund 13 Prozent. Insgesamt mehr als jeder dritte Betrieb erwartet zukünftig eher schlechtere Geschäfte, doch nur noch knapp jeder Fünfte bezeichnet die aktuelle Geschäftslage als schlecht. Deutlich wird in der Befragung, wie sehr die Energiekrise die Unternehmerinnen und Unternehmer nach wie vor beschäftigt. Knapp 70 Prozent sehen dies als den größten Risikofaktor für ihre Geschäftsentwicklung an, gefolgt vom Fachkräftemangel (56,2 Prozent) und der Inlandsnachfrage (52,3 Prozent). „Mit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Belastungen für die heimische Wirtschaft nicht nur groß, sondern die langfristigen Folgen auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht kalkulierbar“, warnt IHK-Präsident Rainer Schwarz. Das aktuelle Bild bleibt somit erkennbar trüb: Wie bereits in der Herbst-Konjunkturumfrage 2022 ist der Saldo, der die Differenz zwischen geplanten Zu- und Abnahmen bei Investitionen, Beschäftigung und Exporten im IHK-Bezirk abbildet, negativ. Immerhin ist jedoch der Ausschlag nach unten geringer geworden. Besonders deutlich zeichnet sich die abgeschwächte Entwicklung bei den geplanten Exporten ab. Hierbei lag der Saldo im Frühsommer bei minus 26,5 Punkten, aktuell beträgt er minus 7,3 Punkte.

Weitergabe der hohen Kosten - Weniger investieren wollen im IHK-Bezirk rund 31 Prozent (zuvor: 35 Prozent). Ein großer Anteil der Unternehmen ist von den gestiegenen Energiekosten betroffen. Die Reaktionen darauf sind vielfältig: Rund 52 Prozent geben die gestiegenen Kosten zum größten Teil weiter, knapp 30 Prozent investieren in Energieeffizienzmaßnahmen und 19 Prozent stellen Investitionen zurück. „Eine weitere Reaktion ist das Zurückfahren der Produktion, insbesondere seitens der Industriebetriebe“, schildert Rainer Schwarz die Situation in den Unternehmen. Rund 8 Prozent der Betriebe im Industriesektor wollen ihre Produktion reduzieren, über 18 Prozent der Industriebetriebe ihre Investitionen zurückfahren. Ein weiterer kritischer Punkt ist die Besetzung offener Stellen. Rund 56 Prozent sehen den Fachkräftemangel als Risikofaktor für ihre wirtschaftliche Entwicklung an. Derweil ist die Arbeitslosenquote mit 4,5 Prozent nach wie vor gering, wie die Arbeitsagentur Gießen mitteilt. Hilfestellung für die Unternehmen bietet die IHK mit den neu geschaffenen Beratungsmöglichkeiten zur passgenauen Besetzung, Inklusion von behinderten Arbeitskräften oder Einstellung von Geflüchteten.

Ohne Galeria Gießen weniger Kunden befürchtet - Das Thema Energie war um die Weihnachtszeit herum für den Einzelhandel ein neuralgischer Punkt. Manche Stimmen wie die Deutsche Umwelthilfe hatten sich generell für den Verzicht auf die Weihnachtsbeleuchtung ausgesprochen und damit eben auch in den Einkaufszonen der Innenstädte. Viele Unternehmerinnen und Unternehmer im IHK-Bezirk hatten sich durchaus kritisch zu dieser Forderung geäußert. Auch wenn Einzelhändler in einigen Städten wie Alsfeld oder Lauterbach ein überwiegend positives Weihnachtsgeschäft verzeichneten, bleibt die Lage doch insgesamt angespannt, weil für viele Branchen das erste Jahresquartal traditionell eher umsatzschwach ist. Der Klimaindex im IHK-Bezirk verzeichnet im Einzelhandel knapp 69 Punkte, mehr als jedes dritte Geschäft verweist auf gefallene Umsätze seit August 2022. Investitionen werden zurückgestellt, weniger Beschäftige eingestellt. Größtes Manko ist die Preisentwicklung bei den Energie- und Rohstoffpreisen (für 75,5 Prozent der Befragten), gefolgt von der Inlandsnachfrage (71,4 Prozent). Über 18 Prozent kämpfen mit Liquiditätsengpässen. Ein Lauterbacher Modehaus hat auf die hohen Energiepreise mit einem Energiespartag reagiert und zwei Monate lang an drei Standorten montags geschlossen. Viele Einzelhändler haben in Energieeffizienz investiert, wie beispielsweise in die Umrüstung auf LED-Beleuchtung. Doch auch solche Maßnahmen können die stark gestiegenen Energiekosten nur minimal auffangen. In Gießen drückt die Unsicherheit über die Zukunft von Galeria Gießen auf die Stimmung. Die Aussichten für einen Verbleib sind nach Einschätzung von Experten eher negativ. Eine Aufgabe des Kaufhauses hätte unmittelbar auch negative Auswirkungen auf die weiteren Geschäfte im Seltersweg, die von der Galeria-Laufkundschaft profitieren. Jedes dritte Einzelhandelsunternehmen im Landkreis Gießen berichtet von einer schlechten Geschäftslage, mehr als 56 Prozent gehen von einer weiteren Verschlechterung aus. Der Konjunkturklimaindex im Gießener Einzelhandel liegt mit 67 Punkten deutlich unterhalb des Durchschnitts aller Unternehmen im IHK-Bezirk (94,7). „Ein Abbau der Bürokratie wäre mehr als eine willkommene Hilfe für diese Branche, ohne die unsere Dörfer und Städte ihren Charme und ihren Pulsschlag verlieren würden“, erklärt Rainer Schwarz. Um die Branche zu stärken, setzt die IHK mit Aktionen wie „Heimat shoppen“ oder dem Netzwerktreffen Gewerbevereine regelmäßig Akzente für ein Einkaufserlebnis vor Ort.

Unternehmen zeitnah entlasten - Von der Unsicherheit besonders betroffen ist die Gastronomie und Hotellerie. Die gestiegenen Kosten für Lebensmittel und Energie sind in dieser Branche deutlich zu spüren. Und auch die Gäste sind von den hohen Inflationsraten betroffen und halten sich mit ihren Ausgaben und Gaststättenbesuchen zurück. Lockdowns haben tiefe Bremsspuren hinterlassen und Rücklagen abschmelzen lassen. Mehr als vier von zehn Betrieben beurteilen ihre aktuelle Geschäftslage als schlecht, ebenso viele erwarten eine eher ungünstige Entwicklung. Der Klimaindex notiert daher auch mit 78,2 Prozent weit unterhalb der Zufriedenheitsschwelle. Auf Landesebene ist der Ausblick etwas positiver. Nur knapp jeder fünfte Betrieb beklagt dort die aktuelle Geschäftslage, hessenweit liegt der Klimaindex für Gastronomie und Hotellerie bei 92,3 Punkten. „Wie dringend eine Ausweitung des Angebots an Energie ist, zeigt sich quer durch alle Branchen“, mahnt Matthias Leder. Nur so könnten sich preisdämpfende Effekte nachhaltig einstellen, die Nachfrage branchenweit wieder anziehen. Keine Verzögerung dürfe es zudem bei den aufgelegten Hilfsprogrammen zur Entlastung der Energiekosten für die Betriebe geben. Zu wenig Besucher beklagen auch die Kinobetreiber. Eine deutlich geringere Anzahl an Filmen, die sich zu Publikumsmagneten entwickelt haben, nagt an der wirtschaftlichen Existenz der lokalen Kinos. Die Besucherzahlen sind im Vergleich zu 2019, dem letzten Jahr vor der Corona-Pandemie, immer noch deutlich geringer.

Reisen gefragt, Reisebüros auch - Einen Aufwärtstrend verzeichnen dagegen Reisebüros mit einem Klimaindex von knapp 136 Punkten im Vergleich zu rund 65 Punkten in der Frühsommer-Befragung 2022. Nahezu alle Reisebüros oder -veranstalter in der Region berichten von steigenden Umsätzen, investieren will fast jedes dritte Unternehmen. Gerade der Trend zu höherpreisigen Reisen wie Kreuzfahrten oder Safaris wirkt sich positiv auf die Stimmung in der Branche aus. Kein einziges Unternehmen beurteilt die aktuelle Geschäftslage als schlecht, knapp 43 Prozent schauen optimistisch in die Zukunft. Mit einer starken Serviceorientierung konnten sich die Reisebüros trotz großer Online-Konkurrenz offensichtlich sehr gut behaupten. Zudem profitieren sie von den Nachholeffekten in Sachen Urlaub bei den Verbrauchern. Matthias Leder begrüßt die positiven Signale aus dieser Branche: „Durchhalten ist einfach wichtig in Zeiten großer Herausforderungen.“ Ebenso optimistisch äußern sich Banken und Finanzdienstleister. Auch in diesem Wirtschaftszweig erwartet kein Unternehmen eine Verschlechterung der Geschäftslage. Investiert wird bei den Finanzdienstleistern kräftig in Produktinnovationen, jedes dritte Kreditinstitut will verstärkt im Ausland investieren. In der Baubranche gibt es nur noch vereinzelt Wachstumssignale, wie bei den Architektur- und Ingenieurbüros, die auf einen Klimaindex von 112 Punkte kommen. Hier schlägt sich offensichtlich noch der starke Auftragsbestand für die kommenden vier Monate und länger in der Baubranche nieder. Wobei sich die Baubranche aufgrund der gestiegenen Kosten, der Lieferschwierigkeiten und des Fachkräftemangels auf mittlere Sicht wenig zuversichtlich äußert. Die Unsicherheit in der Branche ist immens, und Investitionen werden auch aufgrund der Energiekrise zurückgestellt.

Wetteraukreis: Fokus auf den Binnenmarkt - Angesichts steigender Zinsen und hoher Immobilienpreise ist die Nachfrage nach Bauplätzen und Immobilien im Wetteraukreis zurückgegangen. Mit einem Klimaindex von knapp 61 Punkten hat sich der Index im Baugewerbe seit der Befragung zum Jahreswechsel 2021/2022 halbiert. Knapp 67 Prozent der Betriebe blicken pessimistisch in die Zukunft, jeder vierte Betrieb will die Anzahl der Beschäftigten senken. Um die stark gestiegenen Energiekosten aufzufangen, geben fast alle Betriebe die hohen Preise weiter. Dies dürfte die Neigung zu bauen unter den Konsumenten weiter senken. Hungen und Büdingen stellen mit der sinkenden Nachfrage auch die Entwicklung angedachter Bauplätze zurück. Nidda bleibt dagegen bei seinen Planungen für Baugebiete in Wallernhausen und Ober-Schmitten. Der Inlandsmarkt spielt für die Unternehmen im Wetteraukreis eine große Rolle. Immerhin 70 Prozent der Betriebe im Wetteraukreis exportieren gar nicht. Rund jeder Vierte will zukünftig weniger exportieren. Bei den Befragten, die überhaupt Auslandsinvestitionen planen, liegt die Euro-Zone mit knapp 83 Prozent klar vorn. Zu den wichtigsten Motiven für eine Auslandsinvestition zählt die Dienstleistung am Kunden: Rund 56 Prozent setzen auf Vertrieb und Kundenbindung. Knapp jeder fünfte Betrieb will mit dem Schritt ins Ausland Kosten sparen und jeder vierte Märkte erschließen.

Vogelsberg: Markterschließung im Ausland- Im Vogelsberg liegt dagegen der Fokus auch auf Markterschließungen im Rahmen einer geplanten Auslandsinvestition, wie die aktuelle Befragung zeigt. Vier von zehn Unternehmen wollen im Ausland ihre Absatzmärkte erweitern. Mit knapp 78 Prozent ist die Euro-Zone der Favorit unter den Regionen, gefolgt von China mit 22 Prozent. Immerhin will jedes fünfte Unternehmen mehr Geld im Ausland investieren; rund 62 Prozent geben an, aktuell keine Auslandsinvestition durchzuführen. Deutlich geringer ist in der aktuellen Konjunkturumfrage das Interesse an Auslandsinvestitionen im Landkreis Gießen. Lediglich rund 7 Prozent der Unternehmen planen höhere Investitionen im Ausland. „Das Ausgangsniveau ausländischer Direktinvestitionen ist im Landkreis Gießen bereits hoch. Ein zusätzliches Engagement wird zurückhaltend bewertet“, erklärt Hauptgeschäftsführer Matthias Leder. Die überfällige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wäre ein schnelles Instrument, um die Unternehmen in der Krise zu entlasten, auch ein großzügigerer Verlustrücktrag und -vortrag. So trägt laut DIHK die Wirtschaft rund die Hälfte des Soli-Aufkommens von rund elf Milliarden Euro im Jahr. Auch nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofs stünde es der Politik offen, den Solidaritätszuschlag abschaffen und damit Impulse für weniger Staat und mehr Wirtschaftskraft zu setzen.



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