Amtsarzt Dr. Merbs zur Corona-Lage und zur Delta-Variante

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Der Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs äußert sich im Interview zur aktuellen Corona-Lage im Wetteraukreis, zum Stand der Impfungen gegen das Corona-Virus und zur Ausbreitung der besonders ansteckenden Delta-Variante. Dr. Reinhold Merbs warnt vor der sich ausbreitenden Sorglosigkeit der Menschen.

Amtsarzt Dr Reinhold Merbs freut sich dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen wg Corona zurückgeht.jpg

Frage: Herr Dr. Merbs, der Sommer ist da, die Corona-Zahlen sinken. Die Inzidenz liegt deutlich unter zehn, können wir jetzt alle aufatmen?

Dr. Reinhold Merbs: Natürlich können wir alle aufatmen. Wir sind doch froh, dass die Zahlen runtergehen, dass die Belastung im Gesundheitssystem abnimmt.

Frage: Wie stark ist das Gesundheitssystem aktuell durch die Pandemie belastet?

Dr. Reinhold Merbs: Hier haben wir endlich eine Situation, wo wir weniger Intensivbelegungen haben. Die Zahl der Schwerkranken ist zurückgegangen, auch wenn wir immer wieder Patientinnen und Patienten haben, die als Verdachtsfälle in die Kliniken eingewiesen werden. In der Regel bestätigt sich der Verdacht nicht oder wenn er sich bestätigt, nimmt die Infektion einen milden Verlauf.

Frage: Im Wetteraukreis sind jetzt fast 250.000 Erst- und Zweitimpfungen durchgeführt. Wie geht es jetzt weiter?

Dr. Reinhold Merbs: Nach wie vor bräuchten wir mehr Impfstoff. Die gute Nachricht: Wir haben im Bereich der höherbetagten Menschen eine gute Durchimpfung, darauf kommt es im Wesentlichen an. Die anderen Zahlen, wie viele Menschen in der Gesamtbevölkerung geimpft sind, sind nicht so relevant, weil die Jüngeren eben weniger ernsthaft erkranken. Es geht darum, die Alterspyramide von oben nach unten durchzuimpfen. Das sind die Menschen, die durch das Virus auch schwer krank geworden sind. Alle anderen, mit wenigen Ausnahmen, hatten keine größeren Probleme. Es gibt im Wetteraukreis nur noch wenige Menschen, die älter als 60 Jahre sind und noch kein Impfangebot haben. Die werden in den nächsten Wochen noch geimpft. Dann sind wir eigentlich in der Situation, wo wir einer möglichen nächsten Welle einigermaßen beruhigt entgegensehen können.

Frage: Große Sorgen bereitet vielen die Delta-Variante. Was ist daran das Besondere?

Dr. Reinhold Merbs: Die Delta-Variante ist noch ein Stück ansteckender als die derzeit vorherrschende Virusvariante Alpha und sie setzt sich zunehmend durch. Nachdem wir in den vergangenen Wochen fast ausschließlich die britische Variante hatten. Eine ähnliche Entwicklung ist für die Delta-Variante zu erwarten. Spätestens zum Ende des Sommers wird sie die vorherrschende Variante sein.

Im Wetteraukreis liegt der Anteil der Delta-Variante aktuell bei etwas unter zehn Prozent. Bei der derzeitigen Infektionsrate reicht natürlich auch schon ein kleineres Ausbruchsgeschehen, um den Anteil wesentlich zu erhöhen. Dementsprechend sind die Zahlen nicht wirklich relevant. Wir haben eine niedrige Inzidenz, insofern kann man einigermaßen beruhigt sein. Aber vor dem Hintergrund der neuen Variante müssen wir wachsam sein.

Frage: Schützen die Impfstoffe von Biontech, AstraZeneca, Moderna und Johnson & Johnson vor der Delta-Variante?

Dr. Reinhold Merbs: Alle Impfungen, die wir durchführen, führen zu einem milderen Verlauf bei einer Ansteckung. Also, die Impfungen schützen insofern, dass die Verläufe milder werden. Die Impfung schützt aber nicht automatisch davor, dass ich mich anstecke. Wenn ich mich angesteckt habe, kann ich die Krankheit natürlich auch wieder weitertragen an die, die noch nicht geimpft sind.

Frage: Welche Konsequenzen hat das?

Dr. Reinhold Merbs: Das hat Konsequenzen hinsichtlich der Quarantänevorgaben. Deshalb sehe ich die neuen Vorgaben, die jetzt von Bund und Land gegeben werden, eher kritisch.

Frage: Inwiefern?

Dr. Reinhold Merbs: Wir können geimpfte Eltern in einem Familienhaushalt nicht in Quarantäne nehmen, wenn die Kinder positiv getestet werden. Solche Fälle hatten wir schon. Die Kinder waren positiv, die Eltern geimpft. Nach ein paar Tagen haben wir auch die Eltern nochmal getestet. Die waren ebenfalls positiv. Sie haben das Virus auf der Schleimhaut getragen, sind also ansteckungsfähig, auch wenn sie überhaupt keine Symptome vorweisen.

Frage: Welche Konsequenzen hat das?

Dr. Reinhold Merbs: Wenn wir solche Fälle nicht in Quarantäne nehmen können, dann können wir auch die Infektketten nicht unterbrechen. Wenn wir jetzt konsequent vorgehen würden, dann könnten wir den Brand auch tatsächlich löschen. Dafür müssen wir jetzt wesentlich konsequenter rangehen und jeden, der in den Fokus gerät, selbst infiziert zu sein oder in Kontakt gewesen zu sein, auch separieren. Das müssen wir so lange machen, bis wir das Infektionsgeschehen auf null haben. Das ist wie bei einem Feuer. Zunächst müssen sie mit ein paar Eimern Wasser rangehen, aber dann müssen sie jedes einzelne Glutnest konsequent ablöschen, sonst flammt das Feuer immer wieder auf.

Frage: Wird es weitere, vielleicht sogar noch gefährlichere Varianten geben als das Delta-Virus?

Dr. Reinhold Merbs: So ein Virus muss, damit es in seiner eigenen Evolution weiter vorankommt, sich ständig verändern und den Gegebenheiten anpassen. Wir kennen das doch auch vom Grippevirus. Das ist jedes Jahr ein bisschen anders, es verändert sich und passt sich sozusagen an. Das wird bei Corona nicht anders sein. Vielleicht wird es dann auch irgendwann einmal eine Variante geben, die gefährlicher und durch die jetzigen Wirkstoffe nicht zu bekämpfen ist. Andererseits sind wir doch auf einem guten Weg. Wir haben mit mehreren Mutanten zu tun und sehen, dass unsere Impfungen wirken. Die Verläufe abmildern, das ist doch schon einmal ein Erfolg. Wenn wir künftig mit Varianten konfrontiert sein sollten, die mit einem anderen Impfstoff besser zu behandeln sind, dann wird auch die Herstellung von Impfstoffen aufgrund der neuen Verfahren, die sich jetzt bewährt haben, schneller vorangehen. Da bin ich ziemlich zuversichtlich.

Frage: Gehen Sie davon aus, dass wir uns jetzt jedes Jahr impfen lassen müssen?

Dr. Reinhold Merbs: Derzeit spricht vieles dafür, dass es so kommt. Dann wird es neue Varianten des Impfstoffs geben, der dann die neuen Varianten des Virus bekämpft.

Frage: Das Impfen von Kindern ist aktuell in der Diskussion. Was sagen Sie als Notfallmediziner dazu?

Dr. Reinhold Merbs: Wir haben Kinder, auch Kinder unter 12 Jahren, schon mitgeimpft, aber immer bezogen auf das Individuum als Einzelfallentscheidung. Diese Kinder waren krank und hatten besondere Risiken. Die haben von einer Impfung profitiert. Eine Impfung ist eine medizinische Maßnahme, da muss Nutzen und Risiko gegeneinander abgewogen werden. Die Massenimpfung von Kindern halte ich für falsch, nicht aber die sauber indizierte Impfung von Menschen, die ein persönliches Risiko haben und die einen Vorteil von der Impfung haben.

Frage: Im Sommer 2020 schien alles vorüber gewesen zu sein, im Herbst kam dann die zweite und im Frühjahr die dritte Welle. Erwarten Sie eine vierte, eine fünfte Welle? Auf was müssen wir gefasst sein?

Dr. Reinhold Merbs: Ich sehe im Vordringen der Delta-Variante eine große Parallelität der zweiten Welle. Ich erwarte deshalb noch eine infektiologische Welle. Bedenklich finde ich, wie sorglos viele Menschen derzeit mit der Situation umgehen. Wir genießen es alle, sich wieder im Biergarten treffen zu können, aber was man mitunter sieht, etwa in den Fußballstadien oder bei größeren Feiern, das ist schon ziemlich unvernünftig. Da sollte man an die Vernunft der Menschen appellieren. Es ist sicherlich nicht verkehrt, auch in Zeiten der allgemeinen Entspannung die Vorsichtsmaßnahmen, die leicht durchzuhalten sind, auch weiterzuführen. Durch Maske und gründliches Händewaschen und Händedesinfektion sind viele Krankheiten, die wir sonst im Frühjahr hatten, nicht aufgetreten. Solche einfachen Maßnahmen kosten uns nicht allzu viel Mühe, aber sie haben einen großen Nutzen.

Frage: Herr Dr. Merbs, das Gesundheitsamt hat sich in den letzten 16 Monaten überwiegend mit dem Thema Corona beschäftigt. Da ist sicherlich auch einiges liegen geblieben?

Dr. Reinhold Merbs: Bei uns läuft seit ein paar Wochen der Betrieb wieder an. Wir haben auch während Corona wichtige Sachen erledigt. Wir haben Eingangsuntersuchungen gemacht, auch Schuleingangsuntersuchungen, zumindest in den Fällen, wo es angezeigt war. Die ganze Infektionshygiene rund um die Altenheime und Krankenhäuser hat natürlich weiter stattgefunden. Für den Sommer sind viele Routinebesichtigungen der Einrichtungen geplant. Wir werden in den nächsten Wochen die Schuleingangsuntersuchungen wieder so etablieren, wie man das aus der Zeit vor Corona kannte. Wir müssen aber trotzdem das Corona-Thema strikt im Auge behalten. Ich sage es noch einmal, trotz sinkender Inzidenz ist es jetzt angezeigt, jeden Einzelfall wesentlich konsequenter als es vorher möglich war, nachzuverfolgen, denn aus den Einzelfällen entstehen die neuen Mehrfälle.

Frage:  Wie sieht es mit anderen Themen aus?

Dr. Reinhold Merbs: Hantavirus und FSME sind momentan keine großen Themen, wohl aber Erkrankungen durch Grasmilben. Das haben viele Wetterauerinnen und Wetterauer schon leidvoll erfahren. Die Grasmilben sind offensichtlich in Massen da. Derzeit gibt es auch wieder viele Zecken. Wer draußen in der Natur ist, sollte da besonders darauf achten. Wir bekommen momentan von den Labormeldungen, die stattfinden, weniger Meldungen zum Thema Corona, dafür mehr zum Thema Hepatitis und Durchfallerkrankungen. Auch das Thema multiresistente Keime spielt eine größere Rolle.

Frage: Was macht man gegen die Grasmilben?

Dr. Reinhold Merbs: Prävention ist hier ein Thema. Wenn man sie hat, Kleider häufig wechseln, duschen, waschen, ein Juckreiz linderndes Mittel auftragen. Mehr wird man nicht tun können.

Herr Dr. Merbs, wir bedanken uns für das Gespräch!



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