Māori-Ahnenschädel nach Neuseeland überführt

Hessen
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In einer feierlichen Zeremonie hat eine Delegation des staatlich neuseeländischen Repatriierungsprogramms „Karanga Aotearoa“ am Te Papa Tongarewa Nationalmuseum am Mittwoch einen menschlichen Schädel aus dem Museum Wiesbaden erhalten, um ihn nach Neuseeland zurückzuführen.

Der sogenannte Toi Moko, bei dem es sich um einen tätowierten Ahnenschädel der Māori handelt, war Anfang des 19. Jahrhunderts in die naturkundliche Sammlung des Museums gelangt, wo er bis heute vor der Öffentlichkeit verborgen verwahrt wurde. Die von Gebeten und Gesängen begleitete Feier im Museum Wiesbaden galt vor allem der rituellen Abschiednahme des Ahnen und seiner Vorbereitung auf dem Weg in die Heimat. Sie bildete die letzte von mehreren Stationen einer Reise der neuseeländischen Delegation durch Deutschland.

„Wir haben heute eine sehr bewegende Zeremonie erlebt. Bewegend, weil wir einen Verstorbenen nach vielen Jahren auf den Weg in sein Herkunftsland verabschiedet haben, bewegend aber auch, weil es um viel mehr ging als nur um eine Rückgabe“, erklärt Angela Dorn (Grüne), Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst. „Wir wissen nicht genau, unter welchen Umständen der Toi Moko nach Europa kam, aus heutiger Sicht jedenfalls ist ein solcher Umgang mit menschlichen Überresten nicht angemessen. Deshalb ist es so verdienstvoll, dass das Museum Wiesbaden von sich aus Verantwortung übernommen, die Initiative ergriffen und den Kontakt nach Neuseeland aufgenommen hat, um eine Repatriierung einzuleiten. Die Zeremonie ist ein Höhepunkt in einem gemeinsamen Prozess, der heute nicht endet. Materielle Zeugnisse von Unrechtskontexten wie der Toi Moko fordern uns auf, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen, gemeinsam mit den Herkunftsgesellschaften ein differenziertes Geschichtsverständnis zu entwickeln und Unrecht auszusöhnen. In der Auseinandersetzung mit dem Unrecht der Vergangenheit knüpfen wir neue Fäden der Verbundenheit. Ich danke allen, die viel Arbeit und Energie investiert haben.“

„Wir feiern 70 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Neuseeland und Deutschland, und die aktuellen Repatriierungen zeigen, wie reif und eng die Beziehung beider Länder geworden ist“, erklärt Neuseelands Botschafter in Deutschland, S. E. Craig J. Hawke. „Die kulturellen Einrichtungen haben großen Respekt und Verständnis für Neuseeland, Māori und Moriori ebenso gezeigt wie große Lernbereitschaft. Dass die Ahnen an ihre Heimatorte zurückkehren, ist weltweit von großer Bedeutung. Es ist ermutigend, dass die Weltgemeinschaft in den vergangenen Jahren große Fortschritte in ihrer Haltung gegenüber verehrten sterblichen Überresten und Kulturschätzen getan hat. Die Botschaft dankt Te Papa und den Partnereinrichtungen überall in Deutschland herzlich für ihre Arbeit, die diese Rückführungen sicherstellt. Nun können die Ahnen ihre lange Heimreise beginnen.“

„Toi Moko sind sterbliche Überreste unserer Ahnen. Auch wenn sie viele Jahre von ihrem Heimatland getrennt waren, hat ihre kulturelle Verbindung Zeit und Entfernung überdauert“, erläutert Te Herekiekie Haerehuka Herewini, Leiter der Delegation und des Repatriierungsprogramms am neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa Tongarewa in Wellington. „Laut Schätzungen wurden zwischen den Jahren 1770 und 1840 rund 300 Toi Moko aus Neuseeland entfernt. Die Repatriierung ist ein wichtiger Schritt voran, weil sie hilft, frühere Untaten zu versöhnen.“

„In diese Rückführung verwoben sind komplexe Gespräche, einfühlsame Diskussionen und der Aufbau bedeutungsvoller Beziehungen“, ergänzt Arapata Hakiwai, Kaihautū (Māori Co-Direktor) von Te Papa. „Wir wissen die Fürsorge unserer Kolleginnen und Kollegen am Museum Wiesbaden für den Toi Moko sehr zu schätzen. Ihr Einsatz und ihre Bereitschaft haben uns bis zu diesem Meilenstein gebracht.“

„Die heutige Zeremonie markiert den Auftakt der Reise, mit der der Ahnenschädel nach Neuseeland, in das Land seiner Herkunft, zurückgeführt wird“, erläutert Dr. Andreas Henning, Direktor des Museums Wiesbaden. „Es ist uns eine Ehre, dass wir diese Zeremonie gemeinsam mit Vertreterinnen und Vertretern der Māori und weiteren Delegationsmitgliedern aus Neuseeland feiern durften. Wir freuen uns, dass dieser Toi Moko nach fast 200 Jahren wieder in seinen spirituellen Zusammenhang zurückkehren kann, und danken dem neuseeländischen Nationalmuseum Te Papa Tongarewa und seinem Repatriierungsprogramm für die kollegiale Zusammenarbeit.“

Wissenschaftler des Museums Te Papa werden den Toi Moko nach seiner Rückkehr nach Neuseeland weiter erforschen, um seine genaue Herkunft zu ermitteln. Dafür werden insbesondere seine Tätowierungen herangezogen. Der Ahnenschädel soll möglichst seiner Herkunftsgemeinschaft zurückgegeben werden. Die Forscher werden das Museum Wiesbaden über die Erkenntnisse auf dem Laufenden halten.

Das Museum Wiesbaden wird in Kooperation mit dem Institut für Rechtsmedizin an der Universitätsklinik Frankfurt am Main unter Prof. Dr. Marcel Verhoff zudem elf weitere menschliche Schädel untersuchen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit gemeinsam mit dem nun repatriierten Toi Moko durch den Arzt und Naturforscher Ernst Albert Fritze während seiner Tätigkeit bei der niederländischen Ostindienkompanie in den 1830er Jahren zusammengetragen wurden. Das Landesmuseum hat Bundesmittel für das Kooperationsvorhaben eingeworben, mit dem die genaue Herkunft der Schädel ermittelt und eine mögliche Rückführung vorbereitet werden soll. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste fördert das Projekt zu den elf Schädeln, die zum größten Teil aus Südostasien stammen.



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